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Yol (Der Weg) von Yilmaz Güney
Mit einer Einführung zum Film und seiner Rezeption von Justus Wertmüller (Berlin)

Nach dem Militärputsch in der Türkei im Herbst 1980 schaffte es ein Film, das Interesse ganz Europas auf die Zustände in diesem Land zu lenken. Es war der 1982 fertiggestellte und im gleichen Jahr mit der goldenen Palme von Cannes ausgezeichnete Film Yol von Yilmaz Güney (1937 – 1984), ein Film der erstmals 1994 legal in der Türkei gezeigt werden durfte. Güney – aus politischen Gründen mehrfach in Haft und 1981 unter abenteuerlichen Bedingungen aus der Türkei geflüchtet – konzipierte den Film im Gefängnis und hat ihn später im französischen Exil aus Material zusammengestellt, das Freunde nach seinen Anweisungen teilweise klandestin in der Türkei gedreht hatten.

Yol wurde von der Linken sehr freundlich aufgenommen, jedoch mit dem Lob auch seiner Brisanz beraubt. Er wurde von der türkischen, kurdischen und europäischen linken und liberalen Öffentlichkeit in erster Linie als ein Film der Anklage gegen die Militärherrschaft gefeiert, obwohl er genau das nur zum Teil war. Die fünf Protagonisten, denen ein Hafturlaub gewährt wird und die sich in ihre im mehrheitlich kurdischen Südosten des Landes gelegenen Heimatorte aufmachen, um dort persönliche Angelegenheiten zu regeln, sind keine politischen sondern kriminelle Gefangene. Auch ihre Erlebnisse außerhalb der Gefängnismauern haben mit politischem Widerstand gegen die Militärjunta nichts zu tun, umso mehr mit jener anderen Unterdrückung, über die Freunde des Volkes gerne hinwegsehen oder als Begleiterscheinung der Armut rechtfertigen: dem ganz normalen islamischen Alltag.

Es geht um Ehebruch, Ehrenmord, Zwangsverheiratung und Frauenunterdrückung. Die Protagonisten stehen scheinbar unüberwindbaren Zwängen letztlich machtlos gegenüber und zerbrechen daran. Nicht das Gefängnis, dem sie kurzfristig entkommen sind und das sie bei einer der in der Türkei häufigen Amnestien in absehbarer Zeit als freie Männern würden verlassen können, ist ihr größtes Problem. Als das wahre Gefängnis stellt sich ihnen eine Gesellschaft dar, in der Clanstrukturen und religiös geprägte Moral jeden Versuch vereiteln, ein individuelles, in Grenzen gar sinnlich erfüllteres Leben zu entfalten.

Yilmaz Güney hat „Yol“ wie seine anderen Filme als Künstler und Revolutionär noch ganz selbstverständlich aus dem Blickwinkel des Westens gedreht. Seine Liebe zu den Menschen und der (kurdischen) Landschaft ist keine primitive Komplizenschaft mit dem Volk auf angestammtem Boden. Die Landschaft wie die Menschen erscheinen fremd und feindselig solange ein übermächtiger, durch den Islam und die Verwandtschaftsherrschaft vermittelter Naturzwang, nicht nur jede freundliche Regung erstickt, sondern die dortigen Verhältnisse als immer auswegloser erscheinen läßt.

„Yol“ ist ein kurdischer Film, der viel eindrucksvoller die notwendige und vernichtende Kritik an kurdischem Nationalismus vollzieht, als jede noch so kluge Streitschrift gegen die PKK. Yol ist die Denunziation jeden Kulturrelativismus im Namen unterdrückter Völker. Yol ist ein revolutionärer Film, weil er eine dezidiert „westliche“, sprich: universale Sehnsucht nach ein bißchen Freiheit und Glück auch für ein Land einfordert, das heute von einer islamistischen Regierung in einen noch trostloseren Zustand zurückversetzt werden soll, als Güney im Entstehungsjahr des Filmes ahnen konnte und ist schon dadurch unbedingt aktuell und sehenswert.

15. April 2008 – 20.00 Uhr – KOMMKINO Künstlerhaus K 4 – Königstr. 93 – Nürnberg – Eintritt: 5,– €